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Vorlesung 1

5. Verrechnungssteuer

5.1. Kapitelübersicht


Lernziele

Weiterführende Literatur

  • STOCKER RAOUL/GIESEN RAMONA, Repetitorium Steuerrecht (3. A. Zürich 2017) (siehe insb. Teil 3, Kapitel zur Verrechnungssteuer).

5.2. Grundzüge der Verrechnungssteuer


Die Verrechnungssteuer ist eine Objektsteuer, die ohne Berücksichtigung der wirtschaft­lichen Leistungsfähigkeit des Schuldners erhoben wird. Sie ist als Quellensteuer ausgestal­tet, da nicht der Leistungsempfänger, sondern der Leistungsschuldner Steuersubjekt ist. Die Erhebung er­folgt anonym, d.h., die Person des Empfängers der steuerbaren Lei­s­tung ist dem Steueramt nicht bekannt.

Für inländische Steuerpflichtige erfüllt die Verrechnungssteuer den primären Zweck einer Si­cherungssteuer, da nach ord­nungs­gemässer Deklaration des belasteten Einkommens die Ver­rechnungssteuer zurückgefordert werden kann. Wird die Verrechnungssteuer von einem inlän­di­schen Leistungsempfänger nicht zurückgefordert, wird diese zu einer endgültigen Belas­tung. Für aus­ländische Steuerpflichtige stellt die Verrechnungssteuer grundsätzlich eine endgül­tige Steuer­bela­stung dar, es sei denn, die Steuer kann aufgrund bestehender Doppelbesteuerungsabkommen bzw. des Zinsbesteuerungsabkommens mit der EU ganz oder teil­weise zurückge­fordert werden.

5.3. Steuerobjekt und Steuersubjekt


Steuerobjekt

Der Verrechnungssteuer auf Erträgen des beweglichen Kapitalvermögens unterliegen Zinsen, Renten, Gewinnanteile und sonstige Erträge (VStG 4 I) der

  • von einem Inländer ausgegebenen Obligationen, Serienschuldbriefe, Seriengülten und Schuldbuchguthaben;
  • von einem Inländer ausgegebenen Aktien, Anteile an GmbHs, Genossenschaftsanteile, Par­tizipationsscheine und Genussscheine;
  • von einem Inländer oder einem Ausländer in Verbindung mit einem Inländer ausgegebe­nen Anteile an kollektiven Kapitalanlagen gemäss KAG;
  • Kundenguthaben bei inländischen Banken und Sparkassen.

Inländer ist nach VStG 9 I, wer im Inland seinen Wohnsitz, dauernden Aufenthalt oder sta­tuarischen Sitz hat oder als Unternehmen im inländischen Handels­register eingetragen ist. Auch juristische Personen oder Handelsgesellschaften ohne juristische Persönlichkeit, die ihren statuarischen Sitz im Ausland haben, aber tatsächlich im Inland geleitet werden und in der Schweiz eine Geschäftstätigkeit ausüben, gelten als Inländer.

Steuersubjekt

Nach VStG 10 ist der Schuldner der steuerbaren Leistung das Steuersubjekt (vgl. oben zum Begriff des “Inländers”). Damit ist der Obliga­tionenschuldner bzw. die Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft zum Einbehalt der Verrech­nungssteuer verpflichtet.

Es haften nur die Steuersubjekte für die Steuerschuld. In Ausnahmefäl­len haften weitere Per­so­nen solidarisch mit dem Steuerpflichtigen (VStG 15 I). Von Gesetzes wegen ist eine solidarische Haftung von

  • Teilnehmer an Steuergefährdung und Steuerhinterziehung;
  • Liquidatoren von steuerpflichtigen Gesellschaften (VStG 15 I a);
  • Organe einer juristischen Person, die ihren Sitz ins Ausland verlegt haben (VStG 15 I b) vorgesehen

5.4. Steuerentrichtung, Überwälzung, Rückerstattung


Steuerentrichtung

Die geschuldete Verrechnungssteuer ist in bar zu entrichten und zwingend auf den Empfänger zu überwälzen (VStG 14). Der Steu­ersatz beträgt 35%.

Die Steuerforderung entsteht im Zeitpunkt, in dem die steuerbare Leistung fällig wird. Die Steu­er wird üblicherweise 30 Tage nach Entstehen der Steuerforderung fällig (VStG 16 I, Aus­nah­men VStG 12 Abs. IIII). Die Verrechnungssteuerforderung verjährt 5 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entstanden ist (VStG 17 I). In Ausnah­me­fällen beginnt die Ver­jährung nicht, steht still oder wird unterbrochen (VStG 17 II–IV).

In bestimmten Fällen kann die Steuer­pflicht durch Meldung der steuerbaren Leistung erfüllt werden (VStG 20, VStV 24 ff.). Die An­wendung des Meldeverfahrens ist in bestimmten Fällen zulässig (vgl. VStV 24–26a). So kann die Verrechnungssteuer im inländischen Verhältnis zwischen Kapitalgesellschaften ab einer Beteiligungsquote von mind. 20% gemeldet werden (VStV 26a).

Überwälzung

Nach VStG 14 ist die Verrechnungssteuer auf den Empfänger der steuerbaren Lei­s­tung zu überwälzen. Folglich muss die geldwerte Leistung um die anteilige Verrechnungssteuer gekürzt werden. Die Überwälzung ist zwingend und kann nicht durch Vereinbarung ausge­schlos­sen werden. Die Verletzung der Überwälzungspflicht ist strafbar (VStG 63). Sofern die Leistung in Sachwerten und Naturalleistungen besteht oder erst im Rahmen einer Steuerrevi­sion als steuerbare Leistung erkannt wurde (und damit zu 100% ausbezahlt wurde), ist es nicht (mehr) möglich, die Leistung um den Steuerbetrag zu kürzen. In diesen Fällen kann nach VStV 24 das Meldeverfahren angewandt werden. Ist eine Meldung nicht zulässig, erfolgt praxisgemäss eine Umrechnung der geschuldeten Verrechnungssteuer «ins Hundert». D.h., es wird angenommen, dass der aus­bezahlte Betrag nur 65% der gesamten Lei­stung betragen hat. Die Folge ist, dass die Gesell­schaft 153.8% an den Empfänger leistet, statt wie vorgesehen 100% und die 35%ige Verrech­nungssteuer nunmehr auf einen höheren Betrag berechnet wird (endgültige Belastung 53.84% Verrechnungssteuer).

Rückerstattung

Voraussetzungen

Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs (VStG 23 und 25)

Natürliche Personen verwirken ihren Rückerstattungsanspruch, wenn sie die mit Verrechnungs­steuer belasteten Einkommensteile, entgegen den gesetzlichen Vorschriften, den zuständigen Steuerbehörden nicht deklariert haben (VStG 23).

Juristische Personen verwirken den Rücker­stattungsanspruch, wenn sie die mit Verrechnungssteuer belasteten Einkommensteile nicht ord­nungsgemäss als Ertrag verbucht haben (VStG 25).

Durchführung und Befriedigung des Rückerstattungsanspruchs

Natürliche Personen müssen ihren Anspruch auf Rückerstattung bei der Steuerbehörde des Kantons geltend machen, in welchem sie am Ende des Kalenderjahrs, in dem die steuerbare Lei­s­tung fällig wurde, Wohnsitz hatten (VStG 30 I).

Juristische Personen und alle sons­ti­gen An­spruchsberechtigten haben ihren Anspruch auf Rückerstattung bei der ESTV geltend zu ma­chen (VStG 30 II). Betreffend die Form der Geltendmachung des Anspruchs sind VStV 63 ff. zu be­achten: Die Rückerstattung ist schriftlich zu beantragen.

In der Regel wird die Verrechnungssteuer von den Kantonen gemäss VStG 31 mit den Kan­tons- und Gemeindesteuern verrechnet. Allfällige Überschüsse werden in bar ausbezahlt. Die Kantone können auch die volle Rückerstattung in bar vorsehen. Die Rückerstattung der Ver­rechnungssteuer durch die ESTV an die juristischen Personen erfolgt in bar. Die Rückerstat­tungsbeträge werden nicht verzinst (VStG 31 IV).

5.5. Reformbestrebungen


Die Verrechnungssteuer auf Zinszahlungen auf inländischen Obligationen macht Schweizer Obligationen unattraktiv. Konzerne weichen der Verrechnungssteuer aus, indem sie ihre Obligationen über eine ausländische Gesellschaft emittieren.

Daher ist als Massnahme geplant, die Verrechnungssteuer auf Zinserträgen weitgehende abzuschaffen, nicht jedoch auf Zinserträgen aus Guthaben natürlicher Personen im Inland bei Banken und Sparkassen sowie bei Versicherungsunternehmen (Botschaft Bundesrat vom 14.04.2021, Änderung des Verrechnungssteuergesetzes, Ziff. 1.2.2 und 4.1.2).

5.6. Aufgaben


Repetitionsübung

Eine Aktiengesellschaft wird liquidiert und den Aktionären wird folgendes Kapital brutto ausbezahlt:

 

5.7. Schnittstellen und Key Takeaways


Schnittstellen

 

Key Takeaways

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