20 Sinnfluencer:innen im Religionsunterricht: digital – nachhaltig – sinnvoll?

Hans Mendl; Rudolf Sitzberger; und Alexandra Lamberty

Abstract

Soziale Netzwerke erweisen sich heutzutage als ein bunter Marktplatz der Möglichkeiten. Sie bieten unterschiedliche Plattformen, auf denen sich Kinder und Jugendliche eigenständig bewegen und selbst einbringen (können). Die sogenannten Influencer:innen besetzen viele Themen, die sie auf ihren Kanälen bewerben; sie machen dabei auf sich aufmerksam und betreiben meist auch kommerzielle Werbung. Auch das Thema „Nachhaltigkeit“ wird mittlerweile von Kindern und Jugendlichen als drängendes Problem erkannt; in politischen Aktionen wird dies mit Nachdruck in die Gesellschaft eingebracht. Noch zu wenig Beachtung finden im Bereich der Social Media aber die sogenannten Sinnfluencer:innen, die in verschiedenen Feldern der Nachhaltigkeit aktiv sind.
Vom Ansatz eines Lernens an fremden Biografien geleitet wird im Projekt „Sinnfluencer:innen im Religionsunterricht: digital – nachhaltig – sinnvoll?“, das im Kontext des Teilprojekts „Ibidigital” von SKILL.de entstanden ist, diskursethisch das Thema Nachhaltigkeit in schulische Lernprozesse eingebracht. Erste Ergebnisse aus Unterrichtseinheiten, Workshops und Fortbildungen zeigen auf, dass in der Auseinandersetzung mit konkreten Sinnfluencer:innen Schüler:innen aktiv zu einem tiefergehenden Verständnis der Nachhaltigkeitsproblematik herangeführt werden können.

Sinnfluencer:innen im Religionsunterricht_pdf

Soziale Netzwerke – Marktplätze der Möglichkeiten

Die Welt von heute ist mehr denn je von digitalen Medien geprägt. Im Umgang mit den Techniken und Plattformen sind die Menschen unterschiedlich geprägt, je nachdem wieviel Kontakt sie zum digitalen Bereich haben und vor allem wo, wie und wann sie aufgewachsen sind. Bei der jetzigen Schüler:innengeneration spricht man in diesem Zusammenhang von Digital Natives (Vgl. Prensky 2001; vgl. Kochhan u. a. 2020, S. 55ff.) aus der Generation Z, die schon von der Geburt an im digitalen Zeitalter leben. Ebenfalls zu den Digital Natives werden die unter der Bezeichnung Generation Y beschriebenen jungen Erwachsenen ab dem Geburtsjahrgang 1980 gerechnet.

Sie sind derzeit überwiegend in Ausbildung, Studium oder Berufseinstieg und durch das Internet digitale Medien gewohnt, die sie auch gezielt zu nutzen wissen. Große Fragen stellen für sie vor allem die permanenten Bedrohungen wie die globale Erwärmung, Umweltverschmutzung oder Naturkatastrophen dar. Auch der Terrorismus gehört zu diesen Zukunftsfragen und -ängsten, die sie beschäftigen, 62 % der Jugendlichen haben 2015 Angst vor Krieg in Europa, 75 % vor Terroranschlägen (Shell Jugendstudie 2015; vgl. Kochan u. a. 2020, S. 55). Beschäftigt man sich mit Influencer:innen aus dieser Generation, dann stellt dies einen wichtigen Aspekt dar, denn gleichzeitig haben diese auch die jüngeren Digital Natives als Zielgruppe im Blick. Obgleich die Generation Y die Probleme bewusst wahrnimmt, ist sie nicht von Resignation gekennzeichnet, sondern sie und auch die jüngsten Generationen versuchen ihr Leben zu genießen und pragmatisch anzugehen (Shell Jugendstudie 2002 / 2015 / 2019). Dies kann übergreifend als ein Kennzeichen aller Digital Natives gesehen werden.

Für den Einzelnen ergibt sich in der Postmoderne und insbesondere im digitalen Raum eine schier unendliche Fülle von Optionen und Wahlmöglichkeiten. Sie fördern den Individualismus, der wiederum zurückwirkt auf die jeweils gewählten und gefolgten Influencer:innen. Den Follower:innen ermöglicht die Vielzahl eine Auswahl nach ihren eigenen Präferenzen und Vorstellungen. Dies betrifft sowohl das Inhaltliche als auch die Plattform, auf der die Jugendlichen vorwiegend unterwegs sein wollen. Diese Individualisierung führt auch dazu, dass es immer mehr an Micro- und Medi-Influencer:innen gibt. Unter Ersteren versteht man Influencer:innen mit einer Gefolgschaft von unter 100.000 Follower:innen, letztere besitzen einen Followerkreis von 100.000 bis 500.000 Anhänger:innen. Dazu gibt es noch die großen Makro-Influencer:innen oder Social Stars mit ihrer Masse an Follower:innen. Je größer die Gefolgschaft ist, desto geringer wird jedoch die Bindung der Einzelnen an ihre Vorbilder. „Je kleiner die Community, desto persönlicher der Kontakt und desto intensiver die Interaktion“ (Kost und Seeger, 2020, S. 40).

Im Blick auf die jüngste Generation Z zeigen sich viele Ähnlichkeiten zum oben beschriebenen Bild. Sie sind vollkommen in der digitalen Welt aufgewachsen: Smartphones, Google, Instagram, WhatsApp, YouTube etc. gehören selbstverständlich in ihr Erwachsenwerden und sind Teil ihres Selbstverständnisses und Weltbildes. Der erlebten Ausdifferenzierung innerhalb der Gesellschaft mit pluralen Lebensformen und individuellen Freiheiten begegnet die Generation Z mit einer großen Bandbreite an Selbstinszenierungen und unterschiedlichsten Kommunikationsformen. Interkulturelle Fähigkeiten und sprachliche Kompetenzen können wie nie zuvor ausgebaut werden; gleichzeitig sehnen sich die Jugendlichen aber nach Orientierung und Sicherheit innerhalb dieser Vielzahl an Optionen und Informationen, die das Internet und die moderne Gesellschaft zu bieten scheinen (vgl. Kochhan u. a. 2020, S. 56). Das Medienverhalten heutiger Jugendlicher aus der Generation Z lässt sich mit Hilfe der JIM-Studien des Medienverbundes Südwest gut eruieren. Diese beschäftigen sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit den Medienwelten Jugendlicher.

Heutige Jugendliche wachsen mit einer breiten Medienausstattung auf, nahezu in jedem Haushalt ist ein Smartphone, ein Computer oder Laptop sowie ein Fernseher zu finden. 94 % der Jugendlichen besitzen selbst ein Smartphone, drei Viertel einen PC (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2021, S. 6). Diese Geräte benutzen die Jugendlichen vorwiegend zum Surfen im Internet, zum Musikhören und dem Schauen von Online-Videos (ebd., S. 14). Dabei sind die Nutzer – nach leichtem Rückgang zum Coronajahr 2020 – im Schnitt täglich ca. 4 Stunden online, die jüngsten (12-13 Jahre) nach eigenen Angaben 160 Minuten, die Ältesten der Studie (18-19 Jahre) ganze 288 Minuten (ebd. S. 33).

Von den Plattformen bzw. Apps liegt nach wie vor unangefochten WhatsApp mit einer Prozentzahl von fast 80 mit weitem Abstand vorne. Die Bedeutung von TikTok und YouTube als Kommunikationsmittel nimmt mit zunehmendem Alter ab, die Bedeutung von Instagram hingegen zu. Im Zusammenhang mit Influencer:innen lässt sich feststellen, dass knapp die Hälfte der Jugendlichen regelmäßig YouTube-Videos von Influencer:innen anschaut (ebd., S. 47). Dabei kann eine deutliche Interessensdifferenzierung zwischen Mädchen und Jungen festgestellt werden. Alltagsthemen und Games stehen weit an der Spitze der Inhaltsbereiche. Die Mädchen geben zu einem höheren Anteil die Themen Beauty (58 %, Jungen: 14 %) und Alltag (65 %, Jungen: 58 %) an, die Jungen liegen bei Games (70 %, Mädchen: 31 %) und Nachrichten (33 %, Mädchen: 28 %) vorne (ebd. S. 48).

Doch welchen Influencer:innen folgen nun die Jugendlichen? Die Studie des Forschungsverbands zeigt auf, dass es bei der namentlichen Nennung von Influencer:innen eine große Heterogenität gibt. Selbst die bekanntesten unter ihnen kommen nicht über eine Größenordnung von 4 % über alle Befragten hinaus, einzig Bibi kann bei den Mädchen mit 8 % einen größeren Kreis ansprechen, dafür wird sie aber von den männlichen Jugendlichen gar nicht genannt (ebd. S. 48). Jugendliche (ver)folgen also individuell ausgewählte Menschen im Sozialen Netz, sie lassen sich dabei von den Themen ansprechen, die sie für sich als wichtig erachten. Dabei ist der Bereich der Nachhaltigkeit für alle ein besonders wichtiger: „Bezüglich des Themas ‚Umwelt‘, waren sich dagegen alle Probanden einig, dass der Umweltschutz und Themen wie Recycling in Zukunft zunehmend an Bedeutung gewinnen werden“ (Kochhan u. a., 2020, 100).

Innerhalb einer Klasse wird man aber kaum Influencer:innen finden, die allen Jugendlichen bekannt sind, weil sich die Interessen hier so sehr ausdifferenzieren (vgl. Lamberty und Sitzberger 2021, S. 133). Welche Bedeutung kommt aber nun diesen Influencer:innen zu?

Blickt man auf die Wortherkunft des Begriffs, so werden mit ‚Influencer´ in der Regel Personen bezeichnet, die auf andere Personen durch ihr Handeln und ihre Aktivitäten in sozialen Netzwerken einen gewissen Einfluss ausüben. Diesen gewinnen sie dadurch, dass sie in ihrem Bereich als besonders gut bewandert gelten, sich vielfältig und immer wieder neu präsentieren, so dass die Follower:innen immer wieder etwas Neues entdecken können. Ihnen wird ein Expertenwissen (z. B. im Bereich Reisen, Mode, Fitness) zugeschrieben, das sie jedoch nicht durch eine besondere Ausbildung oder langjährige Tätigkeit erworben haben müssen. Das digital konstruierte Image, auf dem ihre Glaubwürdigkeit und Authentizität beruht, zeigt sich oft durch ein Erscheinungsbild des jeweiligen Profils bzw. Kanals, das genau das widerspiegelt. Wie oben schon erwähnt, erweisen sich die Bindungen von Mikro-Influencer:innen als wesentlich stabiler, was aus der Sicht von Unternehmen für ihre wirtschaftlichen Interessen genauso bedeutsam ist wie für die Frage nach dem Einfluss von Sinnfluencer:innen auf das ethische Verhalten ihrer Follower:innen. Klicks, Likes, Kommentare oder Abonnements sind dabei nur die äußeren, ablesbaren Zahlen und Fakten. Die Reichweite, Bindung und tatsächlichen Folgen für bspw. das Kaufen eines Produkts müssen empirisch belegt werden (so z. B. die Umfrage des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V., abrufbar unter: https://www.bvdw.org/fileadmin/user_upload/190404_IM_Studie_BVDW_2019.pdf; zuletzt 3.8.2022).

Je regelmäßiger und interaktiver sich die Kommunikationsweise der Influencer:innen gestaltet, umso wahrscheinlicher wird eine parasoziale Beziehung der Follower:innen zu den digitalen Meinungsmacher:innen. Diese ist eher einseitig, aber gleichzeitig noch freundschaftsähnlich zu kennzeichnen. Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen der Nutzer:innen können durch sie bewusst oder unbewusst beeinflusst werden (vgl. Kost und Seeger, 2020, S. 35-39). Ohnehin trifft die Selbstdarstellung der Influencer:innen auch entwicklungspsychologisch auf eine Phase, in der Jugendliche auf der Suche nach Orientierung sind, welche sie vorwiegend an und über Personen zu finden hoffen. Laut der SINUS-Jugendstudie 2020 geben etwa 80 % der Jugendlichen an ein Vorbild zu haben, wobei etwa die Hälfte der Befragten Menschen aus dem persönlichen Nahbereich wie Familienmitglieder oder Freund:innen nennt, die weiteren stammen hingegen vor allem aus dem Bereich Entertainment (22 %), Politik (18 %) und Sport (11 %) (vgl. Calmbach et al. 2020, S. 220–224).

In diesen Zwischenraum von Familie und Freund:innen einerseits und den ganz großen, nicht nahbaren Stars andererseits treten die meisten Makro-Influencer:innen: Sie sind die authentischen Expert:innen für die spezifischen Fragen, die die Jugendlichen interessieren und bei denen sie bei der Beantwortung ganz bewusst denjenigen folgen, die sie für sich als gewinnbringend, cool und auch authentisch erachten. Dennoch bleiben sie kritisch gegenüber dieser Gruppe, hinterfragen einerseits das System von Werbung und die Beeinflussung von Jugendlichen, andererseits tolerieren sie es und befürworten die Chancen, auf diese Weise Orientierung zu erhalten (vgl. Deutsche Shell 2019, S. 33).

Influencer:innen sind also ein bedeutsamer Teil der Lebenswelt heutiger Jugendlicher aus der Generation der Digital Natives. In Bildungsprozessen – nicht nur im Religionsunterricht – wird immer wieder eine Beziehung zu den Lebenswelten von Lernenden hergestellt. Wie weit darf und soll jedoch Unterricht diese Lebenswelt thematisieren und in die Lernprozesse integrieren? Was spielt sich beim Lernen an diesen fremden Biografien ab?

Lernen an fremden Biografien

Das SKILL.de Teilprojekt „Ibidigital“ (Identitätsbildung in digitalen Welten) dockt am lehrstuhlinternen Forschungs- und Praxisprojekt eines Lernens an fremden Biografien an, das seit über 20 Jahren die didaktische Bedeutung und den unterrichtlichen Einsatz von personalen Beispielen in der Bildungsarbeit und besonders im Religionsunterricht auslotet (https://www.uni-passau.de/local-heroes/datenbank-local-heroes/).

Ausgangspunkt waren kritische Beobachtungen zur Rezeption der klassischen Vorbilder, der Heiligen und anderer vorbildhafter Gestalten, im Religionsunterricht. Davon ausgehend entwickelten sich drei hermeneutische Zielrichtungen, die auf folgende Fragen hin fokussiert werden können: (1) Welche Bedeutung haben Modelle und Vorbilder für Kinder und Jugendliche heute? (2) Welche Personengruppen eignen sich auf herausragende Weise für ein orientierendes Lernen? (3) Welche lerntheoretischen Modelle eignen sich für den Einsatz fremder Biografien im Religionsunterricht und in der Bildungsarbeit insgesamt?

Die Bedeutung von fremden Biografien

Nach einer Phase in den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts, wo man in der Pädagogik aus guten Gründen Abstand von einem damals recht eingeengt als Wertübertragungsmodell verstandenem Vorbildlernen nahm (ausführlich: Mendl, 2015, S. 17-25), kann man spätestens seit der Jahrtausendwende eine auch empirisch belegbare Renaissance des Vorbilds feststellen: Kinder und Jugendliche haben Vorbilder, an denen sie etwas lernen können, und diese stammen zunächst einmal aus dem eigenen familiären Umfeld!

Die Bedeutung eines Lernens an Vorbildern heute lässt sich multiperspektivisch begründen, was hier nur kurz angedeutet werden kann: So wichtig der Emanzipationsgedanke und die Idee der Selbstentfaltung des Subjekts sind, mit denen seit den 1960er-Jahren ein Kontrapunkt gegen eine fremdgesteuerte gehorsamsorientierte Pädagogik gesetzt wurde, so ernüchtert ist man heute angesichts der Fragilität des Subjekts. Identitätsbildung erweist sich als ein dynamischer, narrativer, fluider und vorläufiger Prozess, der sich als balancierter Akt zwischen personalen und sozialen Momenten vollzieht. Hierzu braucht es auch eine Orientierung an anderen Biografien. Dies ist gesellschaftlich heute nicht einfach, weil es auf dem Marktplatz der Postmoderne eine Vielzahl an Wahlmöglichkeiten gibt, auch an personalen Helden und Vorbildern, wie sie heute in medialen Welten die Influencer:innen darstellen. Gerade Zivilgesellschaften sind auf zivilcouragierte Persönlichkeiten und auf ein ehrenamtliches Engagement angewiesen (vgl. Mendl, 2017; 2020). Solange es solche Menschen gibt, gerät die Welt nicht aus den Fugen. Theologisch wird der Mensch als ein offenes dialogisches Wesen verstanden; die Beschäftigung mit fremden Biografien eröffnet Möglichkeitsräume für die eigene Subjektwerdung.

Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung einer fluiden und fragilen Identität zu unterstützen, erscheint als eine der zentralen Aufgaben des Religionsunterrichts. Ein biografisches Lernen oszilliert also zwischen zwei Polen: Ausgangs- und Zielpunkt ist das lernende Subjekt, das dem eigenen Leben und Glauben immer wieder eine eigene Bestimmung gibt; dies geschieht in einer Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte, den Anforderungen der Gegenwart und den Entwürfen auf eine selbstverantwortete und -gestaltete Zukunft hin; insofern ist biografisches Lernen immer ein selbstreflexives subjektorientiertes Lernen. Gleichzeitig erfolgt eine solche Entfaltung des eigenen Lebens in Auseinandersetzung mit vielfältigen anderen Biografien, in denen sich spezifische Handlungsmuster, Wertoptionen, Hoffnungen und Ideale spiegeln (im Folgenden nach: Mendl, 2021).

Beide Pole sind gleichrangig, das unterscheidet ein Lernen an Vorbildern heute von einem früheren Verständnis (Mendl, 2015, S. 17-49). Die Lebensentwürfe anderer Personen, auch der christlichen Tradition, werden nicht normativ im Sinne einer Wertübertragung eingespielt. In der Beschäftigung mit ihnen und im Abgleich mit der eigenen Vorstellung eines guten Lebens sollen Grundeinsichten eines gelingenden Lebens aufscheinen; über die Plausibilität und Lebensrelevanz dieser fremden und eigenen Perspektiven müssen die Lernenden selber entscheiden. Deshalb ist ein biografisches Lernen im Religionsunterricht immer ein „freiheitsverbürgendes Lernen“ (Ziebertz, 2010, S. 382).

Die breite Palette personaler Angebote

Von der Positionsbestimmung her, dass ein Lernen an fremden Biografien auf ein Lernen des selbstreflexiven Subjekts hin angelegt ist, werden sowohl die begriffliche Abgrenzung zwischen Modell und Vorbild als auch die Frage nach dem geeigneten Personal nachrangig. Damit eröffnet sich aber ein weiter Horizont von Personengruppen, mit denen sich Kinder und Jugendliche beschäftigen und an denen sie sich abarbeiten können, wie das folgende Schaubild zeigt.

 

Abbildung 1: Horizont der Personengruppen als Möglichkeitsräume der eigenen Subjektwerdung (eigene Darstellung)

Dieser Ansatz vom lernenden Subjekt her gedacht bedeutet über alle Personengruppen hinweg, dass nicht die moralische Qualität der anderen Person, an der gelernt werden kann, über das didaktische Potenzial entscheidet. Dies wird im folgenden Schritt auch lerntheoretisch und didaktisch ausbuchstabiert. Am Verhalten und den Entscheidungen anderer Menschen, die gerade auch in ihrer Fehlerhaftigkeit, Schuldverstrickung und ihren falschen Entscheidungen menschlich erscheinen, kann gelernt werden!

Ein diskursethischer Ansatz im Umgang mit fremden Biografien

Die bisherigen Ausführungen münden in die Absage an ein verhaltenstheoretisch angelegtes Nachahmungsmodell im Umgang mit fremden Biografien und in die Konzipierung eines didaktischen Modells, das sich zwischen einem modell- und einem diskursethischen Ansatz bewegt: Kinder und Jugendliche sollen sich an fremden Biografien abarbeiten! Sie sollen sich mit den in den Biografien oder biografischen Skizzen enthaltenen Werteimplikationen beschäftigen, die Entscheidungen anderer Biografien durchleuchten und entsprechende eigene Urteile fällen.

Gemäß der sozial-kognitiven Theorie des Modell-Lernens wird in den Blick genommen, welche Kategorien (Interessen, Werte, Motive) Menschen zum Handeln bewegen. Kinder und Jugendliche werden in deren Geschichten involviert – mit dem Ziel, dass sie selber am Beispiel lernen und unmittelbar auf das eigene Leben übertragen: Welche Bedeutung haben die Wertvorstellungen, die die vorgestellten Personen motivieren, für mich (Gedächtnisprozess)? In welchen Situationen wird von mir Mut verlangt bzw. könnte ich Zeit für andere investieren (Reproduktions-, Verstärkungs- und Motivationsprozess)?

Bei diskursethischen Verfahren hingegen verzichtet man auf den unmittelbaren Transfer völlig, der beim Modelllernen noch gegeben ist. Man setzt sich mit moralischen Dilemmata auseinander, in denen sich eine fremde Person befand (z. B. ethische Dilemmata des Alltags – ehrlich sein, ein mutiges Verhalten in der Öffentlichkeit, die Entscheidung, an einem Sozialprojekt mitzuwirken), diskutiert mögliche Optionen unter Einbezug der dabei aufscheinenden Motive, Wertorientierungen und Folgen für die Beteiligten und trifft eigene theoretische Entscheidungen. Dabei muss die Lehrkraft aushalten, wenn sich Kinder und Jugendliche für das Gegenteil eines sozial erwünschten Verhaltens entscheiden – wenn sie beispielsweise kundtun, dass sie kein freiwilliges soziales Jahr machen würden wie ein Local hero, eine gefundene Geldbörse selbstverständlich behalten oder keinen Organspendeausweis ausfüllen möchten. Lehrer:innen benötigen hier eine Differenzverträglichkeit. Denn der Weg ist das Ziel: Wenn Heranwachsende immer wieder moralische Dilemmata diskutieren, fördert dies die zunehmende Ausdifferenzierung ihres ethischen Argumentations- und Reflexionsvermögens. Das Ziel besteht in einer Befähigung zur ethischen Urteilsbildung, in einer zunächst auf eine theoretische Ebene sich beschränkende Überlegung, wo ähnliche Herausforderungen im eigenen Leben bestehen und so letztlich in der Förderung einer ethischen Mündigkeit.

Sinnfluencer:innen und das Thema Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit als Thema von Gesellschaft und heutigen Jugendlichen

Das Thema Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung hat nichts von seiner Brisanz verloren, auch wenn weltpolitisch andere Themen momentan weiter oben auf der Agenda zu stehen scheinen. Eines bleibt nämlich jenseits der Tagespolitik gewiss: Ohne ein nachhaltiges Gestalten unserer Zukunft wird es keine Zukunft geben.

Bereits 2015 haben die Vereinten Nationen in der Agenda 2030 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung vereinbart, die sich gleichermaßen an die Regierungen weltweit, die Zivilgesellschaft, aber auch an die Privatwirtschaft und Wissenschaft richten. Folgende Übersicht zeigt die einzelnen Bereiche auf, die die Ziele in ihrer ganzen Bandbreite abdecken:

Abbildung 2. Die 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 richten sich an alle: die Regierungen weltweit, aber auch die Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft und die Wissenschaft.

 

Offen bleibt die Frage, welche dieser Ziele innerhalb der Gesellschaft als vorrangig betrachtet werden. Das deutsche Umweltbundesamt führt alle zwei Jahre eine Umfrage zum Umweltbewusstsein der Bevölkerung durch, im Coronajahr 2020 ergab sich dabei folgendes Bild: „65 Prozent der Deutschen halten den Umwelt- und Klimaschutz für ein sehr wichtiges Thema – trotz Corona. Besonders der Klimaschutz bleibt während der Pandemie für 70 Prozent weiterhin genauso wichtig, für 16 Prozent ist er sogar wichtiger geworden“ (Umweltbundesamt 2022).

Für die Jugendlichen heute scheint das Thema Nachhaltigkeit eines zu sein, dass sie über die unterschiedlichen Interessen hinweg alle gemeinsam beschäftigt: „Quer durch alle Gruppierungen findet sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten, darunter eine zunehmende Sorge um die ökologische Zukunft, ein Trend zu gegenseitigem Respekt und einer Achtsamkeit in der eigenen Lebensführung, ein starker Sinn für Gerechtigkeit sowie ein wachsender Drang, sich für diese Belange aktiv einzubringen (Shell Jugendstudie Zusammenfassung 2019, S. 13). In allen der genannten Punkte spiegeln sich die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung wider: Die ökologische Zukunft kann nur mit nachhaltiger Rohstoffgewinnung und ressourcenschonendem Umgang erreicht werden; gegenseitiger Respekt und der Sinn für Gerechtigkeit verweisen auf einen nachhaltigen Umgang mit Entwicklungsländern und Ausgleich der Ungerechtigkeiten im Welthandel und der Politik; die Achtsamkeit in der eigenen Lebensführung gibt Hoffnung, dass die hehren Ziele nicht nur in der Theorie unterstützt werden, sondern Eingang finden in das eigene Handeln und eine dann tatsächlich nachhaltig orientierte Lebensgestaltung.

Sinnfluencer:innen als Protagonist:innen von Nachhaltigkeit?!

Das Spektrum der Influencer:innen ist genauso breit und bunt wie unsere postmoderne Gesellschaft. Einige von ihnen haben sich immer schon kritisch mit ihren Themen auseinandergesetzt oder sind im Laufe der Zeit gegenüber den Mechanismen von Klicks, Likes und den Vorgaben der sie unterstützenden Firmen kritischer geworden. Im Laufe der Jahre hat sich für diese Gruppe der Begriff der „Sinnfluencer“ zu etablieren begonnen (vgl. Jahnke 2021, S. 8). Unter ihnen versteht man im allgemeinen Influencer:innen, die sich gesellschaftlich oder politisch engagieren, um bewusst mit ihrem Potential Follower:innen auf Missstände hinzuweisen, auf bestimmte Lebensformen oder Wertvorstellungen aufmerksam zu machen und damit Einfluss auf das Verhalten von Menschen zu nehmen. Unter den Themen sind hier vor allem Nachhaltigkeit, Ökologie, Umweltbewusstsein, Veganismus, Feminismus, etc. anzutreffen. Sie nutzen die sozialen Netzwerke nicht primär für ihren eigenen Profit. Die Grenze ist jedoch fließend und nicht immer leicht zu ziehen. Klassische Influencer:innen-Themen wie Beauty, Lifestyle, Fashion werden bei den Sinnfluencer:innen von der kritischen Seite her aufgegriffen und mit ökologischen oder nachhaltigen Produkten und Einstellungen überformt.

Aus der Marktforschung weiß man, dass gerade im Bereich der Nano- und Micro-Influencer:innen die Bindung zwischen Influencer:innen und Follower:innen sehr stabil und nah ist und die Möglichkeit einer Beeinflussung dadurch höher wird (s.o. unter Punkt 1). Im schulischen Kontext spielt die Frage nach der Bindung der Schüler:innen und deren Beziehung zu den Influencer:innen sowie die Frage nach Größe und Reichweite insofern keine Rolle, als es bei der Auseinandersetzung mit Sinnfluencer:innen im Unterricht eben nicht um die einfache Übernahme der Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der eingesetzten Beispiele geht.

Sinnvoll erscheint es aus dem oben dargestellten Ansatz ethischen Lernens nach Menschen zu suchen, die einerseits nicht explizit „katholisch“ oder „christlich religiös“ motiviert und im Binnenraum Kirche verankert sind, weil sie aus der Sicht der Jugendlichen für die meisten zu lebensfern und „abgehoben“ sind. Hierzu zählen die oft auch als „Christfluencer“ bezeichneten Jana Highholder (https://www.instagram.com/hiighholder/?hl=de), Li Marie (https://www.instagram.com/li.marie/?hl=de) oder Chris Schuller (https://www.youtube.com/channel/UCO69wBrka0gRALEw-O7ubEw), aber genauso „klassische“ Vertreter wie bspw. Priester Rainer Maria Schießler (https://schiesslerswoche.podigee.io) oder Martin Popp (https://www.instagram.com/insta_priest/?hl=de), aber auch Ordensleute wie Sr. Anrika und Sr. Francine-Marie (https://www.youtube.com/c/JenseitsdesGewöhnlichen/about).

Andererseits sollen die Beispiele aber zur Auseinandersetzung mit christlichen Wertvorstellungen anregen, d. h., eine Nähe zu diesen Werten sollte im Handeln und Argumentieren der Sinnfluencer:innen erkennbar sein. Es ist wichtig, dass die Jugendlichen merken, dass keine radikale Lebensumkehr verlangt wird, sondern in der Auseinandersetzung mit den Themen eigene Lebensgestaltungsoptionen eröffnet werden, die man ergreifen oder ablehnen kann. Theologisch scheint hier die Option „Bewahrung der Schöpfung“ auf. So kann die Verwendung nachhaltig produzierter Lebensmittel eine Zeit lang ausprobiert und dann entschieden werden, was man so weiter machen möchte und was nicht.

Das Projekt „Sinnfluencer:innen“

Am Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts wird seit über 20 Jahren mit den Local heroes eine Plattform bereitgestellt, über die ein Lernen an fremden Biografien im Unterricht angeregt wird. Das Teilprojekt „Ibidigital“ des SKILL.de-Projekts an der Universität Passau motivierte die Ausgestaltung einer zusätzlichen Rubrik, die sich speziell auf die Sinnfluencer:innen bezieht (https://www.uni-passau.de/local-heroes/sinnfluencer).

Einen genaueren Einblick in die Motivation, das Entstehen und Arbeiten mit Sinnfluencer:innen aus der Homepage bietet der Podcast „Biografisches und diskursethisches Lernen in der digitalen Welt: Sinnfluencerinnen & -fluencer im Religionsunterricht“ aus der Reihe „Mit und Über, der Podcast zur Lehrkräftebildung und Digitalisierung an der Universität Passau “.

In den Beispielen auf der Sinnfluencer:innen-Seite des Lehrstuhls (https://www.uni-passau.de/local-heroes/sinnfluencer) wird zu eben dieser Auseinandersetzung angeregt; die Aktionsfelder der Sinnfluencer:innen sollen konstruktiv und kritisch bearbeitet werden. Thematisch liegen diese Beispiele derzeit in den Bereichen Chancengleichheit, Ernährung, Fortbewegung, Klimaschutz, Konsum, Produktion und Tierschutz, das Themenspektrum wird aber weiter ausgebaut. An und mit den Beispielen wird deutlich, wie sich diese Personen für ihren Bereich einsetzen und zu einem sorgsameren Umgang anregen. Immer wieder taucht aber ebenso die Frage auf: Wo handelt es sich um ein ehrliches, authentisches Anliegen der Sinnfluencer:innen, wo ist es Marketing oder sekundär motiviertes, geplantes Einspielen von followersteigernden Inhalten?

Über das Projekt werden – ähnlich wie beim Local-heroes-Projekt des Lehrstuhls – Lehrende an den Schulen angeregt, die Beispiele aufzugreifen und für den Unterricht zu adaptieren. Je nach Jahrgangsstufe und Schulart können die einzelnen Texte zu den Sinnfluencer:innen direkt von den Schüler:innen verwendet werden, sie können aber ebenso noch weiter von den Lehrkräften aufbereitet werden. Bei vielen der vorliegenden Texte sind schon Arbeitsaufträge vorhanden, die die Schüler:innen bearbeiten können.

Praxisbeispiele zum Arbeiten mit Sinnfluencer:innen

Das entwickelte Projekt wurde mittlerweile mehrfach in Fortbildungen mit Lehrkräften und im Unterricht mit Schüler:innen erprobt. Entsprechende Erfahrungen und Erkenntnisse aus diesen Praxisprojekten werden im Folgenden dargestellt (Originaltöne werden im Folgenden in kursiv gesetzt eingebunden).

Wichtig erscheint es, mit der Zielgruppe zu klären, was denn unter Sinnfluencer:innen überhaupt zu verstehen ist. Es ist davon auszugehen, dass nur ein kleiner Teil der Gruppe mit dem Begriff vertraut ist. So ist es nicht verwunderlich, dass von der Semantik des Wortes ausgehend folgende Aussagen bei Schüler:innen aufgetaucht sind: Sinnfluencer:innen sind in deren Verständnis Menschen, die „nicht nur sinnfrei Bilder von ihrem ‚perfekten‘ Leben posten, sondern über aktuelle Themen informieren und sich engagieren“; „ihren Einfluss und ihre Reichweite für Aufklärungsarbeit in relevanten Themen nutzen, z. B. Politik, Minderheiten, Tabu- oder Nischenthemen“; „zum Nachdenken anregen“; „sich für Gutes einsetzen“; „mit ihren Beiträgen versuchen, die Welt zu verbessern“ und somit auch „eine Vorbildfunktion haben“ (Originalzitate der Jugendlichen).

Da die Sinnfluencer:innen thematisch in den Bereich von Nachhaltigkeit fallen, kann mit den Gruppen selbstreflexiv erst einmal der eigene, persönliche CO2-Fußabdruck bestimmt werden. Dies gelingt einfach und gut verständlich z. B. mit Hilfe der Website von „Brot für die Welt“ (https://www.fussabdruck.de/fussabdrucktest/#/start/index/). Mit Hilfe eines solchen Tests kann natürlich keine genaue CO2-Bilanz erstellt werden, aber es hilft, ein erstes Verständnis bei den Schüler:innen für die eigene Verantwortung im Handeln anzubahnen. Zu erwarten ist, dass der Großteil der Teilnehmenden sich rund um den deutschlandweiten Schnitt bewegt (4,7 gha), der deutlich über dem Weltdurchschnitt von 2,8 gha liegt. Ein nachhaltig eingestufter Lebensstil sollte mit 1,6 gha nochmals deutlich niedriger sein. Die Schüler merken, „welche Bereiche überhaupt in den Fußabdruck mitreinspielen“ und „dass man einige Umstände ändern könnte“.

In Kleingruppen können sich dann die Kinder und Jugendlichen mit einzelnen Sinnfluencer:innen auseinandersetzen. Dazu bekommen sie digital über die Homepage bzw. analog als Arbeitsblatt Texte aus der Sinnfluencer:innen-Homepage des Lehrstuhls, recherchieren mit weiteren Quellen dazu und bearbeiten unterschiedliche Arbeitsaufträge. Ihre Ergebnisse halten die Schüler:innen in Form von Plakaten (digital über die Tablets) fest und präsentieren sowie diskutieren diese im gegenseitigen Vorstellen.

In der Diskussion und Reflexion wird deutlich, dass die Jugendlichen durchaus einen differenzierten Blick auf die Thematik und die Sinnfluencer:innen haben. Ihrer Meinung nach haben diese einerseits viele positive Seiten, denn sie „geben gute Denkanstöße“; „bieten Menschen Anreize, die Welt zu verbessern und auch zum Umdenken motivieren“; „können durch ihre Posts viel bewirken beim Thema Nachhaltigkeit“; „geben Tipps und besprechen Probleme, denen jeder im Alltag ausgesetzt ist“; „versuchen, an Werte wie Nachhaltigkeit und Toleranz heranzuführen“.

Andererseits äußern sie verschiedene Bedenken zu den Sinnfluencer:innen, denn sie „können grundlegende Probleme nicht lösen“, sondern nur „informieren, aber nicht die Aktionen von Menschen verändern“; sie „bräuchten eine viel größere Reichweite, um die Welt wirklich zu verbessern“. Zudem sei es „zweifelhaft, ob Sinnfluencer ihre Tipps wirklich im eigenen Alltag umsetzen“, denn „sie zeigen nur, was sie zeigen wollen“. „Einige widersprüchliche Handlungen werden nicht erwähnt“, letztlich „spielen Kooperationen mit Firmen trotzdem eine wichtige Rolle“, was die Authentizität in Frage stellt. Fazit: „man muss ihre Inhalte mündig konsumieren, hinterfragen und sich über die vorgestellten Produkte von mehreren Quellen informieren“.

Trotz dieser Kritik werden sich die Schüler:innen aber auch der eigenen Verantwortung bewusst, denn: „jeder in seinem Umfeld hat viele Möglichkeiten, in kleinen Schritten seinen Alltag nachhaltiger zu gestalten“, es ist klargeworden, dass „ein Beitrag zur Nachhaltigkeit gar nicht so schwer wäre“.

Insgesamt scheint in den Erfahrungen bei der Arbeit mit unterschiedlichen Gruppen von Schüler:innen auf, dass Kinder und Jugendliche sehr wohl ein Interesse am Thema Nachhaltigkeit haben. In ihrer Freizeit schenken sie diesem Thema jedoch wenig Aufmerksamkeit, wenn sie in den neuen Medien unterwegs sind. „Eine vertiefende und reflektierende Auseinandersetzung mit ausgewählten Beispielen im (Religions-) Unterricht kann solche Rezeptionsgewohnheiten unterbrechen und dazu führen, dass die Heranwachsenden über die eigene ‚Filter-Bubble‘ hinausschauen, die sie durch nutzungsspezifische Algorithmen personalisierte Inhalte fokussieren lässt“ (Mendl; Lamberty; Sitzberger 2023, im Erscheinen). Vom diskursethischen Ansatz her bleibt aber klar, dass die Auseinandersetzung mit der Frage nach einem nachhaltigen Lebensstil für Kinder und Jugendliche in Bildungsprozessen bedeutsam ist. Dass aber eine nachhaltige Änderung bei ihnen sofort eintritt, kann und muss nicht erwartet werden, sondern bleibt eine herausfordernde und längerfristig zu leistende Aufgabe.

Fazit: Sinnfluencer:innen als lebensnahe Beispiele für Ausflüge in gute Welten

Die Frage nach den geeigneten Personengruppen für ein Lernen an Menschen in digitalen Welten führte zu einem längeren Suchprozess, bei dem die Tauglichkeit ganz unterschiedlicher Influencer:innen, Christfluencer:innen und Sinnfluencer:innen auf den Prüfstand kam. Wenn wir uns beim Projekt „Ibidigital“ letztlich auf die Sinnfluencer:innen konzentriert haben, so lässt sich das mit zwei argumentativen Grundlinien verbinden: Zum einen befinden sich die digital präsenten Sinnfluencer:innen noch in einer lebensweltlichen Reichweite von Kindern und Jugendlichen, zum anderen bringen sie durch ihr wertorientierte Handeln auf dem Marktplatz der Postmoderne ein wichtiges sinnorientiertes Segment ein, mit dem sich Schüler:innen auseinandersetzen können. Dass dies gelingen kann, wurde in den verschiedenen Praxisprojekten deutlich.

Literatur

Calmbach, M., Flaig, B. B., Edwards, J., Möller-Slawinski, H., Borchard, I., & Schleer, C. (2020). Wie ticken Jugendliche? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. (Schriftenreihe / Bundeszentrale für Politische Bildung, Band 10531).

Deutsche Shell (Hg.). (2019). Shell Jugendstudie 2019 Zusammenfassung. https://www.shell.de/about-us/initiatives/shell-youth-study/_jcr_content/root/main/containersection-0/simple/simple/call_to_action/links/item0.stream/1642665739154/4a002dff58a7a9540cb9e83ee0a37a0ed8a0fd55/shell-youth-study-summary-2019-de.pdf

Jahnke, M. (2021). Influencer Marketing – eine Bestandsaufnahme. In M. Jahnke (Hg.), Influencer Marketing. Für Unternehmen und Influencer: Strategien, Erfolgsfaktoren, Instrumente, rechtlicher Rahmen. Mit vielen Beispielen (2. überarbeitete und erweiterte Auflage, S. 1-21). Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31892-5

Kochhan, C., Elsässer, A., & Hachenberg, M. (2020). Marketing- und Kommunikationstrends. Interviewstudie zur Akzeptanz bei Digital Immigrants und Digital Natives. Wiesbaden, Heidelberg: Springer Gabler (Research).

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Medien-Attributierungen


About the authors

Prof. Dr. Hans Mendl ist Inhaber des Lehrstuhls für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts.

Forschungsschwerpunkte: Konzepte der (Religions-)Lehrerbildung – Hochschuldidaktik, Lernen an fremden Biografien, Neue Formen des Religionsunterrichts und der religiösen Bildungsarbeit, Religion erleben – Religion nachhaltig lernen, Medien in der religiösen Erziehung

Forschungsschwerpunkte: Sprachsensibler Religionsunterricht, Ethisches Lernen, Leid und Tod als Thema des Religionsunterrichts, Kirchenraumdidaktik, Kunst im Religionsunterricht

Wiss. Mitarbeiterin im SKILL.de-Teilprojekt „Ibidigital“ mit den Forschungsschwerpunkten Identitätsbildung, Digitalisierung in der Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts sowie Lernen an fremden Biografien in digitalen Welten / Sinnfluencer:innen; Lehrerin

Lizenz

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Sinnfluencer:innen im Religionsunterricht: digital – nachhaltig – sinnvoll? Copyright © by Hans Mendl; Rudolf Sitzberger; und Alexandra Lamberty is licensed under a Creative Commons Nammensnennung 4.0 International, except where otherwise noted.

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