31 Freie Bildung und Information and Media Literacy: Lehramtsstudierende entwickeln Open Educational Resources (OER)
Amelie Zimmermann
Abstract
Dieser Beitrag thematisiert den Zusammenhang zwischen Information and Media Literacy (IML) und freien Bildungsmaterialien (Open Educational Resources/OER), der im Modellseminar „Zeichenwelten“ im Projekt SKILL.de hergestellt wurde. Bereits im SKILL-Projekt (2016-2019) entwickelt und erprobt, zielte die Veranstaltung „Zeichenwelten“ darauf ab, eine Information and Media Literacy aus Sicht der Mediensemiotik bei Lehramtsstudierenden auszubilden, sie also für eine kritische Medienrezeption zu sensibilisieren. In der zweiten Förderphase 2019-2022 erhielt das Veranstaltungskonzept eine zusätzliche Komponente: Die Studierenden fertigten nun keine eigene Medienanalyse im Sinne einer Information and Media Literacy mehr an, sondern konzipierten freie Bildungsmaterialien (OER) im Themenfeld der Mediensemiotik/Information and Media Literacy. Der Beitrag beschreibt den strukturellen Rahmen des Modellseminars in SKILL und SKILL.de, erläutert, was unter Information and Media Literacy und Open Educational Resources zu verstehen ist und legt dar, wie das Konzept der Veranstaltung „Zeichenwelten“ diese Kompetenzfelder bei Lehramtsstudierenden zu fördern versuchte. Es wird außerdem auf die Evaluationen der Veranstaltung eingegangen, die unter anderem als Action Research Projekt in SKILL.de durchgeführt wurden und die iterativ auf die Konzeption der Veranstaltung einwirkten. Schließlich ergeben sich aus den Durchführungen und Evaluationen von „Zeichenwelten“ konkrete Anliegen für die universitäre Lehrkräftebildung bezogen auf den Umgang mit Medien(produkten) und freien Bildungsmaterialien.
Freie Bildung und Information and Media Literacy_pdf
Struktureller Rahmen: Modellseminare in SKILL.de
Das Projekt SKILL.de (Strategien zur Kompetenzentwicklung: Innovative Lehrformate in der Lehrerbildung, digitally enhanced) bot Raum für innovative Ansätze in der Hochschullehre, die in Form von Modellseminaren erprobt und evaluiert wurden. Das Modellseminar „Zeichenwelten“ wurde als Grundlagenveranstaltung für eine Information and Media Literacy (IML) aus mediensemiotischer Sicht schon in der ersten Förderphase im Projekt SKILL (2016-2019) entwickelt, erprobt und überarbeitet.
Für Studierende des Lehramts konzipiert, die aus der Germanistik, aber auch aus anderen Fächern kommen, ließ sich die Veranstaltung als Fachveranstaltung (Einführung in die Neuere Deutsche Literaturwissenschaft/Mediensemiotik) und/oder als Grundlagenveranstaltung für das Zertifikat „Information and Media Literacy“ anrechnen, das Studierende des Lehramts an der Universität Passau zusätzlich zum Studium begleitend erwerben können. Außerdem bildet die Veranstaltung einen Teil des Schwerpunkts „Information and Media Literacy“, den Studierende des Masters „Bildungs- und Erziehungsprozesse“ an der Universität Passau belegen können. Für die Studierendenschaft lässt sich aus diesen strukturellen Bedingungen ableiten, dass sie sich sowohl in Bezug auf den Fortschritt des Studiums (Erstsemester, Folgesemester, Masterstudierende) als auch in Bezug auf die Fächerwahl heterogen zusammensetzt.
Thematischer Rahmen: Zeichenwelten – Information and Media Literacy – Auseinandersetzung mit freier Bildung
Information and Media Literacy (IML) bezeichnet ein Set an Fähigkeiten, das man braucht, um Informationen aus Medien zu entnehmen, sie kritisch einzuordnen und in eigenes Wissen und Handlungen zu überführen (Pollak et al., 2019). IML ist damit nicht in einer Wissenschaft zu Hause – wie man es vielleicht für die Medienpädagogik annehmen könnte – sondern bildet eine Querschnittsliteracy, die in jeder Disziplin (und damit auch in jedem Schulfach) berücksichtigt werden kann.
Als interdisziplinäres Modell setzt sich IML aus einer kritisch-rezeptiven Komponente und einer produktiv-gestalterischen Komponente zusammen. Die Mediensemiotik, die an der Universität Passau zusammen mit der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft (NDL) über das Fach Deutsch an der Lehrkräftebildung beteiligt ist, betont das kritisch-rezeptive Moment. Der Umgang mit jeglicher Art von medialen Texten wird in der NDL und Mediensemiotik methodisch erlernt. Als Mediensemiotik-Veranstaltung in IML zielt „Zeichenwelten“ jedoch nicht nur darauf ab, für eine kritisch-rezeptive Analyse das Beschreibungsinventar zu liefern und einzuüben, sondern als überfachliches Anliegen für die Studierenden greifbar zu werden, damit sie die Erkenntnisse auch in andere Fächer, aber vor allem in ihre Tätigkeit als Lehrende im Umgang mit Medien und Informationen übertragen können.
Eine der Grundannahmen von IML ist, dass wir uns große Teile der Welt medial erschließen. Informationen kommen in der Regel medial vermittelt (als Literatur, journalistischer Text, Musik, Film, Instagram-Story etc.) zu uns. Wenn also das Ziel von Bildung eine kompetente Teilhabe an Welt ist, dann müssen Medien und Medienprodukte und der Umgang mit ihnen reflektiert werden. Dies schließt im Besonderen solche Medienprodukte mit ein, die gezielt in Bildungsprozessen eingesetzt werden – Textaufgaben, Erklärvideos, Tafelbilder etc.
Die Seminardokumentation zur ursprünglich konzipierten Veranstaltung findet sich hier: Seminardokumentation_Zeichenwelten_SKILL
Für die zweite Förderphase wurde das Konzept tiefgehender überarbeitet: Die Veranstaltung beinhaltet seit 2020 aufgrund der Verortung im Arbeitsfeld „OER im Bereich Information and Media Literacy“ zusätzlich eine Auseinandersetzung mit freien Bildungsmaterialien durch die Erstellung von Open Educational Resources (OER) als Studienleistung. Auch der Titel der Veranstaltung hat sich seitdem zu „Zeichenwelten – Freie Lehr-/Lernmedien für die Mediensemiotik/Information and Media Literacy entwickeln“ gewandelt.
Freie Bildungsmaterialien oder „Open Educational Resources (OER) sind Bildungsmaterialien jeglicher Art und in jedem Medium, die unter einer offenen Lizenz stehen. Eine solche Lizenz ermöglicht den kostenlosen Zugang sowie die kostenlose Nutzung, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Dritte ohne oder mit geringfügigen Einschränkungen.“ (Deutsche UNESCO-Kommission). Freie Bildungsmaterialien sind Produkte einer Kultur der Openness. Andere Menschen sind eingeladen, OER zu nutzen, sie zu remixen, zu ergänzen und damit Ideen weiterzudenken. Freie Bildungsmaterialien bedeuten also, dass man nicht die Publikation der Produkte als Endstation ansieht, sondern deren Weiterleben bedenkt: Soll die OER zum Remixen freigegeben werden? Soll der eigene Name mitgenannt werden, wenn jemand das Material verwendet? Welches Format ist für eine Weiterarbeit geeignet? Solche und andere Fragen stellen sich, wenn Materialien als OER publiziert werden.
Besonders für Lehrende im Bildungsbereich sind OER eine Chance, denn sie sind eingeladen, auf einen großen Materialpool (wie Online-Sammlungen und -Suchmaschinen wie WirLernenOnline) zuzugreifen und diesen durch Einspeisen der eigenen Materialien weiter wachsen zu lassen. So bekommen Lehrende Impulse für die eigene Lehre und können diese ebenso geben – Teilhabe im Sinne der Rezeption und Produktion von Bildungsmaterialien wird ermöglicht. Lernende und Lehrende als Prosumierende anzusehen, die sowohl Rezipierende als auch Produzierende sind, dieses Konzept (Toffler, 1980, S. 266) ist in Bezug auf Medienumgang ebenfalls Teil der IML (Dengel, 2019; Huang & Michler, 2019).
Ausschlaggebend für die Überarbeitung des Seminarkonzepts mit dem Ziel, dass die Studierenden selbst OER für die IML/Mediensemiotik entwickeln, war außerdem die höchste Stufe der Lernzieltaxonomien nach Lorin Anderson und David Krathwohl et al. (2001). Anderson und Krathwohl überarbeiteten Anfang der 2000-Jahre die Hierarchisierung von Lernzielen nach Bloom et al. (1956) unter anderem dahingehend, dass sie nun nicht mehr die Evaluation als höchste Stufe für Lernziele ansahen, sondern das Kreieren als solches selbst (Wilson, 2016). Obwohl diese Taxonomien nicht kompetenzorientiert gestaltet sind, sondern Ziele des Lernens in Bezug auf ihre kognitive Leistung hierarchisieren, umfasst das Kreieren ein ganzes Bündel produktiver anwendungsbezogener Kompetenzen. Das Schaffen eines Ergebnisses, eines tatsächlichen Produkts – im Fall der „Zeichenwelten“-Veranstaltung von freien Bildungsmaterialien –, impliziert eben nicht nur eine kognitive Auseinandersetzung, die eine kritisch-rezeptive Ebene beinhaltet, sondern versucht eben diese in der Gestaltung von Lerngelegenheiten zur Anwendung zu bringen. Das, was man gelernt hat, in Lehr-/Lernmedien anderen zugänglich zu machen, um anderen Lernenden eine eigene Lerngelegenheit zu bieten, ist auf Grundlage von Anderson und Krathwohl als besonders umfassendes Bildungsziel anzusehen, das im Seminar durch eine vielfältige aktivierende und adressierende Konzeption zu erreichen versucht wurde.
Aufbau der Veranstaltung
Ausgehend von den strukturellen Rahmenbedingungen und inhaltlichen Schwerpunkten ergab sich für die überarbeitete Veranstaltung eine Teilung des Lernweges der Studierenden durch drei Lernräume hindurch. Da die Veranstaltung während der Corona-Pandemie durchgeführt wurde, fand sie ab 2020 rein online statt. Über die Lernplattform ILIAS wurde ein Onlinekurs mit drei Lernräumen konzipiert, die asynchron in einem bestimmten Zeitraum von den Studierenden zu bearbeiten waren. Durch die Rahmung mit synchronen Zoomsitzungen im Plenum wurden Austausch untereinander und das Verständnis der Inhalte sichergestellt. Die ersten zwei Lernräume umfassten Lernmodule zur Mediensemiotik und zur Information and Media Literacy. Lernraum drei drehte sich um OER und umfasste auch die Gruppenarbeitsphase der Entwicklung einer OER zu Themen, die in den zwei ersten Lernräumen als methodisch und medial unterschiedliche Lerngelegenheit präsentiert wurden.
Die umfangreiche Seminardokumentation mit der Neuorientierung der Veranstaltung lässt sich hier einsehen: Seminardokumentation_Zeichenwelten_SKILLde
Qualität der OER sichern – Ein Action-Research-Projekt
Die Veranstaltung im WiSe 2021/22 wurde durch Frau Dr. Sima Caspari-Sadeghi begleitet, die gemeinsam mit der Dozierenden ein Action-Research-Projekt (Norton, 2019) mit dem Ziel der Verbesserung der Lehre umsetzte. Hierbei stand die Qualität der OER-Produkte im Vordergrund: Eine Rubrik/Checkliste, die selbst als OER verfügbar ist, wurde den Studierenden zur Verfügung gestellt, um ihnen mehr Orientierung bei der Erstellung von OER und bei Peer Feedback zum Material der anderen zu ermöglichen. Mehr Informationen zu dem Action-Research-Projekt finden sich in der Seminardokumentation zur Veranstaltung „Zeichenwelten – Freie Lehr-/Lernmedien für die Mediensemiotik/Information and Media Literacy entwickeln“.
Fazit
Die Ergebnisse aus sechs Jahren intensiven Arbeitens an einer Grundlagenveranstaltung für die Mediensemiotik/Information and Media Literacy sind besonders in Bezug darauf vielschichtig, freie Bildungsmaterialien mit den Studierenden zu erstellen. Aus der Perspektive der Information and Media Literacy ist es für angehende Lehrkräfte fächerübergreifend sehr sinnvoll, im Studium Medienprodukte und sogar Bildungsmaterialien analysieren und produzieren zu können. Dies sollte unbedingt den Diskurs um Freie Bildung und das Einüben des Umgangs mit freien Bildungsmaterialien beinhalten .
Literaturverzeichnis
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Dengel, A. (2019). Die informatische Perspektive auf Information and Media Literacy. Fundamentale Ideen der Informatik als Grundlage eines Computational-Thinking-Curriculums. PAradigma – Beiträge aus Forschung und Lehre aus dem Zentrum für Lehrerbildung und Fachdidaktik. Information and Media Literacy. Die Medialität der Welterschließung in Theorie und Lehrpraxis an der Universität Passau. (Bd. 9, 2. Aufl., S. 155–165). Tutte Print.
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Norton, L. (2019). Action research in teaching and learning. A practical guide to conducting pedagogical research in universities (Second edition). Routledge Taylor & Francis Group.
Pollak, G., Decker, J.-O., Dengel, A., Fitz, K., Glas, A., Heuer, U., Huang, V., Knapp, D., Knauer, J., Makeschin, S., Michler, A. & Zimmermann, A. (2019). Interdisziplinäre Grundlagen der Information and Media Literacy (IML):. Theoretische Begründung und (hochschul-) didaktische Realisierung – Ein Positionspapier. PAradigma – Beiträge aus Forschung und Lehre aus dem Zentrum für Lehrerbildung und Fachdidaktik. Information and Media Literacy. Die Medialität der Welterschließung in Theorie und Lehrpraxis an der Universität Passau. (Bd. 9, 2. Aufl., S. 14–129). Tutte Print. https://ojs3.uni-passau.de/index.php/paradigma/article/view/173/160 [11.12.2019].
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